Thea Mengeler – Nach den Fähren

Auf seinem morgendlichen Rundgang durch den Sommerpalast blinzelt sie ihm plötzlich unter einem Laken aus kindlich wachen Augen entgegen: Ada.

Wie ein lang entbehrter Sonnenschein, wie die vage Erinnerung an einen verdrängten Verlust tritt Ada in das Leben des Hausmeisters. Schon so lange harrt er allein im Sommerpalast aus. Hält alles sauber, füttert die Pfauen, repariert Verfallendes und wartet. Wartet, dass irgendwann die Fähren auf die kleine Insel zurückkehren und mit ihnen die Gäste, die den Sommerpalast bewohnten, die alles Leben auf der Insel bestimmten.

„Das Einzige, was sich sonst verändert, ist Tag für Tag die Farbe des Wassers. Mal glänzt es in einem satten, dunklen Türkis, mal in dem blassen, hellen Ton angelaufenen Kupfers, dann wieder liegt es still, bleich und reglos da wie geschmolzener Nebel.“ (32)

Jetzt scheint alles Leben fort, es ist still auf der Insel. Außer dem Hausmeister sind nur wenige Menschen auf der Insel geblieben. Wie Übriggebliebene gehen sie ihren einstigen oder neuen Professionen nach: Der Hafenwärter, der General im Morgenmantel und seine Frau, die Bäckerin, die Doktorin aus Apartment 3B, die Krankenschwester, die Fischerin. Sie alle leben distanziert nebeneinander, suchen nur selten Kontakt.

Erst durch Ada merkt der Hausmeister, wie verkapselt und richtungslos er ist, in einem Zustand des absoluten Stillstands. Ada stellt viele Fragen, vor allem danach, wie es früher war. Früher, als noch keine Fähren zur Insel kamen. „Wem gehört die Insel“, will Ada wissen, bevor sie so plötzlich verschwindet, wie sie gekommen ist.

Zurück bleibt der Hausmeister, der nicht weiß, ob Ada wirklich bei ihm war, für den aber nichts mehr so ist, wie vorher. Ada hat lange verdrängte Gefühle und Fragen geweckt: Verlust und Schmerz, Erinnerung und Einsamkeit. All das lässt den Hausmeister aus dem Sommerpalast treten, lässt ihn vorsichtige Beziehungen zu den anderen Inselbewohner:innen aufbauen, lässt ihn eine neue Spur auf der Insel ziehen.

In Szenen zwischen Alleinsein und Miteinander, zwischen Gestern und Heute, zwischen Hier und Dort entwickelt sich langsam ein gemeinsames Morgen, etwas, das nicht mehr nur von Abwesenheit und Verlust bestimmt ist, etwas, das NACH DEN FÄHREN kommt.

„Sie setzt sich auf. Sie blickt aufs Meer, auf dem keine Veränderung sichtbar ist. Meerblau geht über in Himmelblau. Segel oder Wolken nirgends. Nichts hat sich verändert. Alles hat sich verändert.“ (37)

NACH DEN FÄHREN ist eine nachdenklich stimmende, ruhige Geschichte, über der etwas Dystopisch-Parabelhaftes schwebt, die aber auch konkreten Bezug zum Tourismus unserer Tage zulässt. Ein Roman, der aber zugleich konzentriert bei seinen Figuren bleibt, in ihre Gedankenwelten und inneren Befindlichkeiten horcht, und zugleich große Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach dem inneren und äußeren Inseldasein stellt. Ein wunderbarer Text, der viele, kleine individuelle Antworten andenkt, ohne große Ausrufezeichen dahinter zu setzen, sondern vieles offen, unbeantwortet und schwebend lässt.

Kleiner Nachtrag: In Dilek Güngörs neuem Roman A WIE ADA habe ich gelesen, dass Ada im Türkischen Insel bedeutet. Für mich hatte die Begegnung des Hausmeisters mit der Figur Ada in Thea Mengelers Roman daher von Anfang an eine stark metaphorische und sinnstiftende Bedeutung. Schön, wenn sich Texte so gut miteinander verbinden!

[unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar]

Infos zum Buch

Genre Roman
Verlag
Wallstein
Seitenzahl 175
ISBN 978-3835355859
Erscheinungsdatum 28.02.2024

Vielen Dank an den Wallstein Verlag für das Zusenden dieses Leseexemplares!