Herr Kiyak besucht seine Tochter in Deutschland. Er selbst hat früher in Deutschland gelebt, jahrzehntelang in einer Fabrik gearbeitet und möchte nun seinen Ruhestand in seiner türkischen Heimat verbringen. Doch während des Besuchs erkrankt Herr Kiyak plötzlich, die Diagnose lautet Lungenkrebs. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. Schmerzhafte Untersuchungen und aussichtslose Therapien folgen. Für Herrn Kiyak beginnt ein emotional und körperlich schmerzhafter Weg durch das deutsche Gesundheitssystem, den er eigentlich nicht gehen will. So ist es die liebende und sorgende Tochter, die all die Kraft, Energie, Wut, Empörung und Kampfbereitschaft aufbringt, die der kranke Vater selbst verloren zu haben scheint.

Um die endlosen Stunden im Krankenhaus gemeinsam zu überstehen, erzählt der Vater seiner Tochter von seiner Kindheit im türkischen Bingöl. Erinnerungen voller Leben und Humor, die von alltäglichen Abenteuern und dem Zusammenhalt der kurdischen Großfamilie erzählen. Ob die Geschichten wahr sind? Egal, solange der Vater erzählt, widersteht er dem Tod.

HERR KIYAK DACHTE, JETZT FÄNGT DER SCHÖNE TEIL DES LEBENS AN ist die Beschreibung einer intensiven Vater-Tochter-Beziehung, in der vor allem die große Liebe der Tochter beeindruckt, die um das (Weiter-)Leben ihres Vaters kämpft. Es ist auch ein Erinnerungstext, der Familiengeschichte im lebendigen Wiedererzählen vor dem Vergessen bewahrt.

Ein sehr persönlicher Text, der authentisch und berührend von Verbundenheit, Schmerz und Verlustängsten erzählt. Doch die Gefühle der schreibenden Tochter schwanken stark. Natürlich ist ihre persönliche Verzweiflung nachvollziehbar, doch beschreibt sie das Krankenhauspersonal fast ausschließlich als feindselig und unempathisch, das den Überlebenskampf um den Vater vorsätzlich nicht mit der Tochter angehen will. An diesen Stellen treten Wut und Anklage so stark in den Vordergrund, dass der Text keine autofiktionale Distanz wahrt und insgesamt an literarischer Qualität verliert, was schade ist.

Mit ihrem wunderbaren essayistischen Werk FRAUSEIN (2020), das ebenfalls sehr nah an der Biografie der Autorin und ihrer Familie entlang geschrieben ist, hat mich Mely Kiyak stärker beeindruckt.

[Werbung, Rezensionsexemplar]