
Rebekka Frank – Stromlinien
- Stephanie Schaefers
- April 18, 2025
- #familienroman, #fischer, #mehrgenerationenroman, #roman, #sfischer, #wasser, #weiblicherkanon
„Wir hinterließen keine Spuren, und wir machten kein Geräusch, wenn wir das nicht wollten. Meine grün-schwarz gefärbten Haare verscholzen mit dem Ufergras, und die braun gebrannte Haut meiner Zwillingsschwester schien eins zu sein mit dem feuchten Flusssand.“ (9)
Mit ihrer blaugrünen Sturmhöhe schippern die 17-jährigen Zwillinge Jale und Enna gern zur verlassenen Elbinsel Hanskalbsand. Dort beobachten sie Wasservögel, das Treiben der Schiffe auf der Elbe und blicken schweigend zur Insel Hahnöfersand – dem Ort, an dem ihre Mutter Alea seit 38 Jahren inhaftiert ist. Die Zwillinge, äußerlich und charakterlich so verschieden, scheinen eng miteinander verbunden. Aufgewachsen bei ihrer wortkargen Großmutter Ehmi, wissen sie weder, wer ihr Vater ist, noch warum Alea im Gefängnis sitzt.
Doch am Tag der Entlassung verschwindet Jale spurlos und auch Alea erscheint nicht am Gefängnistor. Stattdessen wird ein unbekannter Mann tot aus der Elbe gefischt. Enna, weiß nicht, ob das alles ein Zufall ist und sie, die sich gerne schroff und unangepasst gibt, fühlt sich plötzlich völlig allein. Auf der Suche nach Antworten bekommt sie überraschende Unterstützung von ihrer Großmutter und dem smarten TikToker Luca, den Enna wohl unterschätzt hat.
„Er gehörte nicht in diese Geschichte. Es war meine. Es war Jales. (…) Und jetzt war er mittendrin mit seiner entspannten Selbstverständlichkeit. Und wusste mit einem Mal – mit nur einer Geschichte – genauso viel über mich und meine Familie wie ich selbst.“ (275)
Aus wechselnden Perspektiven und Zeitebenen entfaltet sich eine komplexe Familiengeschichte, an deren Anfang der tragische Apfeldiebstahl von Ennas Urgroßvater Gunnar steht. Wir wissen, dass das unerlaubte Pflücken von Äpfeln schon immer Probleme mit sich brachte. Diese ziehen sich wie ein apfelroter Faden von Schuld, falschen Abhängigkeiten und zerstörerischer Liebe auch durch Ennas und zwei weitere tragisch verwobene Familien.
STROMLINIEN springt mühelos durch 100 Jahre deutscher Geschichte und fesselt durch sein Gespür für eindringliche Naturbilder der Elbmarsch und mitreißende Perspektivwechsel. Ich kann nachvollziehen, dass andere Rezensent:innen den Roman als norddeutsche Variante von DER GESANG DER FLUSSKREBSE beschreiben.
„An Momenten wie diesem waren die Elbufer so schön wie Südseestrände. Sandhügel erhoben sich elegant aus dem Fluss, schwarze dicke Äste lagen wie verwunsche Bänke auf dem flachen Wasser, und die winzigen, zitternden Wellen darauf erinnerten mich an die Haut von Oma Ehmis Wangen.“ (163)
„So viele Graugänse hatte sie gesehen, so oft die Weite des Meeres über der Elbe gerochen, so häufig den Rufen der Feuerkröten gelauscht. Ihr Herz war voll, trotz allem, was sie getan hatte.“ (461)
Manche dramatische Wendung im großen Figurenensemble erschien mir überzeichnet, auch nicht jede Liebesgeschichte war für mich notwendig. Aber die Kombination aus New Romance, Krimi, Coming-of-Age und Familiendrama macht den Roman zu einem packenden Leseerlebnis – besonders für junge Erwachsene.
Infos zum Buch
Genre Roman
Verlag Fischer
Seitenzahl 512
ISBN 978-3758700224
Erscheinungsdatum 26.03.2025
Vielen Dank an den Fischer Verlag für das Rezensionsexemplar!