
Katharina Hagena – Flusslinien
- Stephanie Schaefers
- April 29, 2025
- #katharinahagena, #kiwiverlag, #naturewriting, #roman, #wasser, #weiblicherkanon
„Ihr ist klar geworden, dass sie ein paar wesentliche Dinge in ihrem Leben noch nicht zu Ende erinnert, noch nicht zu Ende gefühlt hat. (…) Es eilt nicht, nichts eilt mehr, aber es ist dringend.“ (75)
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Margrit ist 102 Jahre alt und muss sich auf das Wesentliche konzentrieren. Regelmäßig besucht sie den Römischen Garten über der Elbe, atmet dort tief durch und spürt ihrer Mutter und deren großer Liebe Else nach. Else Hoffa war einst Gartengestalterin dieses Parks.
„Dort oben sieht man mehr vom Himmel als vom Fluss. Die Erde, den Strand, das Heim.“ (172)
Margrit blickt versöhnlich zurück auf die Geister der Vergangenheit, die ihr als Kind und junge Frau viel abverlangt haben. Ihre früh verstorbene Mutter und Elses bewegtes Solitärleben haben sie zu selbstbestimmtem Leben und Lieben inspiriert. Der Blick auf die Gegenwart fällt ihr schwerer: Die unerklärliche Wut ihrer Enkelin schnürt ihr die Luft ab.
Die 18-jährige Luzie kam völlig verändert aus Australien zurück. Dort lebte sie bei Vater Frieder, Margrits Sohn, und dessen neuer Familie. Eine verhängnisvolle Abschlussballnacht erschütterte Luzies Vertrauen in sich und andere Menschen. Zurück in Hamburg schmeißt sie die Schule, schlüpft unter in der Seniorenresidenz ihrer Großmutter und will Tätowiererin werden. Während sie sich und Margrit tätowiert, bekommt Luzie wieder ein Gefühl dafür, welche Geschichten Körper erzählen, wie sie mit blauschwarzen Erinnerungen leben und sich wieder in der eigenen Haut wohlfühlen kann.
„Die Haut wird verletzt, und verheilend schließt sie die Tinte unter sich ein. Zwar bildet sich neue Haut, aber die Wunde verwandelt sich in eine Zeichen dessen, was mal war. Keine Narbe, vielmehr blauschwarze Erinnerungen.“ (170)
Dann ist da noch Arthur, Fahrer in Margits Seniorenresidenz. Früher tauchte er mit seinem Zwillingsbruder und entwickelte Sprachen für Fantasy-Spiele. Jetzt ist er allein und ringt täglich darum, nicht auf dem Trockenen zu ertrinken. Der Einsatz für die Natur gibt ihm neue Kraft, ebenso wie die zarte Bindung zu Margrit und Luzie.
Wann wird das Leben zur Zumutung – für sich selbst, für andere? Und wie viel Mut zum Leben kann ein Mensch trotzdem aufbringen? Davon erzählt Katharina Hagena in FLUSSLINIEN. Unterschiedliche Kräfte und Widerstände laden sich zu Strömungen auf und fließen zwischen den Figuren hin und her. Geschickt verwebt die Autorin in ihrem vierten Roman drei zentrale Erzählperspektiven zu einem dichten Geflecht von Lebensentwürfen. Auch wenn manche Nebenhandlungen etwas zu ausufernd geraten, haben mich die Naturbeschreibungen und die poetischen Metaphern überzeugt.
„Es ist alles schon viel zu lange her. Sie wundert sich manchmal, welche Dinge in ihrem Leben noch eine Bedeutung haben und welche nicht.“ (319)
[Werbung, Rezensionsexemplar]
Infos zum Buch
Genre Roman
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Seitenzahl 400
ISBN 978-3462007-299
Erscheinungsdatum 13.03.2025
Danke an den Kiepenheuer & Witsch Verlag für das Rezensionsexemplar!