Antje Rávik Strubel – Der Einfluss der Fasane

Eines vorweg: Diesmal kann ich mich nicht kurzhalten, denn es fließen mehrere Lektüren ineinander.

Es beginnt mit einer Schlagzeile: Der Mann einer berühmten Opernsängerin hat sich in Sydney das Leben genommen. Hella Renata Karl, Feuilletonchefin einer großen Berliner Zeitung, erfährt davon am frühen Morgen aus ihrer eigenen Zeitung. Dieser Mann ist kein Unbekannter: Kai Hochwerth war ein renommierter Berliner Theaterintendant – Hella ist seit Jahren auf verhängnisvolle Weise mit ihm verbunden. Erst vor wenigen Monaten hatte Hella Hochwerth vom Königssockel seines Theaters gestoßen. Eine von ihr bewusst eindeutig formulierte Schlagzeile brachte ihn zu Fall – „Intendant zwingt Schauspielerin zur Abtreibung“.

Da Hella über einen „stabilen psychischen Stoffwechsel“ verfügt, bringt sie die Nachricht von seinem Tod nicht aus der Fassung. Doch die Medien- und Kulturbranche schiebt ihr schnell eine Mitschuld zu. Hella gerät in die Untiefen ihres eigenen Systems – eines Soziotops, in dem sich, wie in vielen anderen Bereichen, vermeintlich mächtige Männer tummeln, die gern im Mittelpunkt stehen.

Besonders ist, dass sich Hella positiv an männlichen Machtstrukturen orientiert; Geschlechtergerechtigkeit ist ihr ziemlich egal. Ihre MeToo-Schlagzeile gegen Hochwerth diente allein der Stabilisierung ihrer eigenen Position.

Als Lesende begleiten wir Hella nur wenige Tage im Mai. Trotz personaler Erzählweise sind wir ihr sehr nah, erhalten Einblick in ihre Gedanken und in die Art, wie sie ihre Welt gerne beschreiben würde – kursiv gesetzte Textteile lesen sich wie pointierte Schlagzeilen aus ihrem Leben. Ein Leben, in dem sie – ein „Solitär aus Leidenschaft“ – glaubt, alles kontrollieren zu können.

Durch eingeschobene Rückblenden sehen wir nach und nach hinter Hellas stabile Rüstung aus Selbsttäuschung und Verblendung. Kurze Einblicke in ihre Herkunftsgeschichte und unausgesprochene Sehnsüchte machen sie zu einer verletzlichen, ambivalenten Figur, deren emotionale Dunkelstellen ihre Fassade ins Wanken bringen.

So wie bei Hella Renata Karl so manches durchs seelische Unterholz flattert, bewegen sich auch die titelgebenden Fasane durch den Text – sie rufen und huschen durch die Gärten und Wiesen rund um Potsdam. Männliche und weibliche Fasane werden unterschiedlich beschrieben; die Zuordnung von Geschlecht spielt auch auf dieser tierischen Ebene eine Rolle. Nicht zufällig trägt Kai Hochwerth etwas Männlich-Fasanenhaftes in seiner Erscheinung: „Eine Partie unter den Augen war mit Fältchen wie gefiedert“ (S. 54).

Zum klangvollen Titel DER EINFLUSS DER FASANE wurde Antje Rávik Strubel durch Virginia Woolfs Essay VOM VERACHTET-WERDEN ODER DREI GUINEEN inspiriert. Darin entlarvt Woolf das verhängnisvolle patriarchale Machtgebaren des Landadels, das sich etwa in der Fasanenjagd zu Verlobungszwecken zeigt. Spannend, wie Strubel, die als Übersetzerin von Virginia Woolf tätig ist, deren Gedanken in ihren eigenen Text ein- und weiterschreibt.

Beim ersten Lesen hat mich DER EINFLUSS DER FASANE irritiert – sowohl die Handlung als auch die Hauptfigur. Der Roman nähert sich mit einem ironischen, teils sarkastischen Ton den Themen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Themen also, die Strubel bereits in ihrem Vorgängerroman BLAUE FRAU behandelte, dort jedoch aus einer schmerzvollen und ernsthaften Perspektive.

DER EINFLUSS DER FASANE ist ein vielschichtiger Roman, der neben der Gender-Thematik etwas zutiefst Menschliches verhandelt: die Frage, wie wir in einer schnelllebigen Welt mit vielen vermeintlich unterschiedlichen Wahrheiten unseren Platz finden – oder ihn sehr schnell verlieren können. Es geht um Verletzlichkeit und um Grenzüberschreitung, die tagtäglich geschehen und die unsere Gesellschaft fortwährend aushöhlen. Vielleicht sind wir alle mehr Hella Renata Karl, als uns lieb ist.

So locker-leicht und ironisch DER EINFLUSS DER FASANE auf den ersten Blick erscheinen mag – dieser Roman ist es nicht. Ich habe ihn gerne und mit großem Gewinn gelesen!

Das Lesen von Virginia Woolfs Essay VOM VERACHTET-WERDEN ODER DREI GUINEEN ( Kampa Verlag ), von Antje Rávik Strubels eigenem Essayband ES HÖRT NIE AUF, DASS MAN ETWAS SAGEN MUSS (Fischer Verlag) sowie ihrer Lichtenberg-Poetikvorlesung in Göttingen NAH GENUG WEIT WEG ( Wallstein Verlag) hat mir ermöglicht, tiefer in Strubels Schreiben und ihre Figurengestaltung einzutauchen – und so auch einen neuen Zugang zu DER EINFLUSS DER FASANE zu gewinnen.

[Werbung, eigene und Rezensionsexemplar]

Infos zum Buch

Genre Roman
Verlag
S. Fischer Verlag
Seitenzahl 240
ISBN 978-3103971712
Erscheinungsdatum 12.03.2025

Vielen Dank an den S. Fischer Verlag, den Wallstein Verlag und den Residenzverlag für die jeweiligen Rezensionsexemplare.