Wilhelm Bartsch – Hohe See und niemands Land

„Farewell! du bist mir, Liebste, mehr als teuer,

Nimmst du mein Eigentum als deins, mein Stern.

Du warst wie hohe See mir nie geheuer

Und noch beim Lieben wie der Mond so fern.“

Wilhelm Bartsch geht auf große Fahrt, auf sehr große Fahrt, um genau zu sein. In fast 90 Gedichten, gegliedert in fünf thematische Zyklen, reist der Autor aus Halle an der Saale über die HOHE SEE der Weltpoesie bis ins mythisch unauffindbare NIEMANDS LAND. Es geht an reale Orte des Diesseits, die auf Nordmeeren und an nordischen Küsten liegen, aber auch an untergegangene Orte, zu denen die Anderswelt der keltischen Mythologie ebenso gehört wie das syrische Aleppo oder das polnische Auschwitz.

Grenzen zwischen Zeit und Raum, Realität und Transzendenz, Vergangenheit und Gegenwart sind bei Bartsch fließend.

„Die Welt? Ist nur sehr dünnes Land in Schwebe.

Der Urahn ist zugleich hier Kindeskind.“ (67)

Der Autor nimmt zudem gewichtiges Gepäck mit an Bord: Neben den vielen räumlichen Bezügen, gibt es nur wenige Verse, die nicht intertextuell auf andere Literaten verweisen: Dante, Eichendorff, Celan, Joyce oder Arno Schmidt, um nur einige Autoren zu nennen (wir können hier ruhig die männliche Form verwenden).

Der Autor selbst nennt sein Dichten eine „Recycling-Methode“ und schöpft dabei aus seiner scheinbar unermesslich reichen Lese- und Wissensbiografie. Wichtigstes inhaltliches wie formales „Recycling-Material“ sind die Sonette Shakespeares. Auch Bartsch bringt fast alle Gedichte in Sonettform, bestehend aus 14 Versen in strengem Reim- und Versmaß. Es ist eine große Könnerschaft, dass Bartschs Sonette trotz ihrer literarischen Weltkoordinaten überraschend gegenwärtig und leicht klingen, dass sie verschiedene Tonlagen anstimmen, Umgangssprache neben lyrische Wortneuschöpfungen stellen.

Ich mag die leisen, intimen Gedichte, die inhaltlich ohne viele Querverweise auskommen und doch in einen Dialog mit „Frau Welt“ oder „Mutter Natur“ treten.

Warum will sich der Mensch alles in dieser oder jener Welt aneignen? Warum ist der Mensch – trotz seiner langen Erfahrungsgeschichte von Zerstörung, Katastrophen und falschen Machtansprüchen – immer noch ein Meister im „Weltmissglücken“?

Dieser Gedichtband ist dennoch kein Weltuntergangsgesang, sondern begibt sich mit seinem leitmotivischen „Farewell“ auf eine ungewisse Suche in unendliche Tiefen- und Weitendimensionen.

[Werbung, Rezensionsexemplar]

Infos zum Buch

Genre Gedichte
Verlag
Wallstein Verlag
Seitenzahl 139
ISBN 978-3835353-930
Erscheinungsdatum 28.02.2024

Vielen Dank an den Wallstein Verlag für das Rezensionsexemplar.