Solvej Balle – Über die Berechnung des Rauminhalts I

Wer hat nicht schon mal darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn sich ein Tag im Leben wiederholen ließe. Sich ein Tag vielleicht sogar gleich mehrmals hintereinander ereignen würde, sich – wäre es uns bewusst – an diesem Tag auch Details verändern ließen, die beim Erstdurchlauf zu kleinen Peinlichkeiten oder großen Tragödien führten.

Aber was wäre, wenn sich ein Tag wiederholen würde, der in seinem Ablauf absolut unspektakulär scheint und an dem sich im eigentlichen Sinne nichts Weltbewegendes ereignet hat?

So ergeht es Buchhändlerin Tara Selter, die den 18. November, einen trüben, nassgrauen Tag in Bordeaux verbringt. Sie kauft antiquarische Bücher, besucht einen alten Freund und dessen neue Partnerin, legt sich abends ins Hotelbett, freut sich darauf, am nächsten Tag wieder auf dem Land in Clairon-sous-Bois bei ihrem Mann Thomas zu sein.

Doch am nächsten Tag beginnt erneut der 18. November. Alles wiederholt sich komplett. Nur Tara bemerkt die Doppelung der Zeit, alle anderen Menschen durchleben erstmals den 18. November, scheinen sich in ihrer normal voranschreitenden Zeit zu befinden – oder sind sie es die aus der Zeit gefallen sind?

Ungläubig verlässt Tara die Stadt, kehrt zu Thomas nach Clarion zurück und überzeugt ihn, dass sie in einer Zeitschleife gefangen sei. Gemeinsam suchen sie nach den Gründen. Doch da jede Nacht die Welt vom Tage zum Ausgangspunkt des 18. Novembers zurückkehrt, kann Thomas zeitlich nicht mit Tara weiterleben. Mittlerweile durchlebt Tara den 18. November zum 121. Mal. Sie lebt verborgen in ihrem eigenen Haus. Sie kennt jedes Geräusch, jede Wetterveränderung, die Bewegungsabläufe ihres Mannes, anderer Menschen und Tiere. Sie beobachtet akribisch Muster und Unregelmäßigkeiten, nur wie sie selbst wieder Eintritt in den gleichen Zeitzyklus wie die sie umgebende Welt erhält, das weiß sie nicht.

Solvei Balle gelingt mit ÜBER DIE BERECHNUNG DES RAUMINHALTS eine fesselnde Geschichte, die zwar dystopisch anmutet, deren Spannung aber vor allem aus den wechselnden Gefühlen und klugen Gedanken der komplett auf sich gestellten Protagonistin Tara entsteht. Ihre intensive Selbstwahrnehmung und Versuche, einen eigenen Lebensrhythmus zu erlangen, öffnen den Inhalt hin zu einer philosophischen Deutung über die je individuelle Wahrnehmung von Zeit.

Großartig, dass bereits Teil II erschienen ist und bald Teil III des auf sieben Teile angelegten Romanzyklus` herauskommen wird. Sehr gerne begebe ich mich mit Tara weiter auf die Suche nach dem Loch in der Zeit.

Den Wunsch, dass sich ein Tag wiederholen möge, habe ich nach dieser Lektüre allerdings nicht mehr.

Übersetzung: Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle

[unbezahlte Werbung, eigenes Exemplar]

Infos zum Buch

Originaltitel Om Udregning af rumfang I
Genre
Roman
Verlag
Matthes & Seitz Berlin
Seitenzahl 170
ISBN 978-3751809122
Erscheinungsdatum 02.02.2023