Olga Tokarczuk – Gesang der Fledermäuse

Sieben Häuser auf einem schneebedeckten Hochplateau in Polen, entlegen an der tschechischen Grenze. Erst im Sommer kehren die Eigentümer zurück, Städter, die Natur und Ruhe suchen. Im Winter zerren Wind und Kälte an den leeren Häusern. Ich-Erzählerin Janina Duszejko lebt hier mit Bigfoot und Matoga, ihren Nachbarn. Janina hat ihnen, wie allen umgebenden Lebewesen, selbstgewählte Namen gegeben. Sie sind die drei ganzjährigen Bewohner. Jetzt sind sie zwei, denn Bigfoot ist tot.

Wie ist Wilderer Bigfoot, der es mit Respekt vor Natur und Menschen nicht so genau nahm, zu Tode gekommen? Janina, die sich innig mit Tieren, Pflanzen und der Ordnung der Sterne verbunden sieht, glaubt an einen Racheakt. Die Rehe müssen Bigfoot getötet haben. Er wird nicht der einzige Tote bleiben.

Wie in vielen ihrer Werke überschreitet Olga Tokarczuk in DER GESANG DER FLEDERMÄUSE Genregrenzen. Was wie eine Kriminalgeschichte beginnt, führt bald ins Mystische, verbindet sich mit spirituellen Naturbetrachtungen, intertextuellen Bezügen zum Frühromantiker William Blake, dessen apokalyptisches Weltbild die Ich-Erzählerin immer stärker auf ihre eigene Gegenwart projiziert und durch genaue Betrachtungen ihres Alltages große kosmische Fragen stellt.

Doch Erzählerin Janina ist von einem ominösen Leiden befallen, das sie sowohl körperlich als auch psychisch beeinträchtigt. Ist die „wahnsinnige Alte“, als die sie andere wiederholt bezeichnen, vielleicht eine unzuverlässige Erzählerin?

Ein fesselnder Roman, der mir als Leserin Grenzüberschreitungen abverlangte, aber dessen Hauptfiguren mich in ihrer schrulligen Verschrobenheit und tiefen Einsamkeit ein- und mitgenommen haben. Wenn wir durch die traurigen Augen der empathischen Janina Duszejko blicken, können wir ihr Gefühl wütender Ungerechtigkeit nachempfinden Es fiel mir nicht schwer, mich auf das rätselhafte Gesamtgeschehen einzulassen und an eine bald nahende Erdfinsternis oder an rächende Rehe zu glauben.

Eine lesenswerte metaphorische Gegenwartsanalyse über Macht und Ohnmacht, Grenzen und Grenzüberschreitungen, Erinnerung und Vernichtung.

Einen zusätzlichen Zugang zu Tokarczuks Schreiben und Erzählen haben mir die Essays und Reden der Autorin in ÜBUNGEN IM FREMDSEIN gegeben, u.a. berichtet Tokarczuk darin auch, wie die Figur Janina Duszejko entstand und sich literarisch entwickelte.

Übersetzung: Aus dem Polnischen von Dorren Daume

[Werbung, eigenes Exemplar]

Infos zum Buch

Originaltitel Prowadz swoj plug przez kosci umarlych
Genre
Roman
Verlag
Kampa Verlag
Seitenzahl 320
ISBN 978-3311100225
Erscheinungsdatum 28.11.2019