Mirrianne Mahn – Issa

Issa reist aus Deutschland in ihr Geburtsland Kamerun. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr lebte sie in Buea bei Großmutter Namondo und Uroma Marijoh, ihrer geliebten Mbambah. Nachdem ihre Mutter Ayudele den Deutschen Jürgen geheiratet hatte, zogen Mutter und Tochter mit ihm als Familie Brinkmöller in den Hunsrück. Ayudele, das 72. Kind von Chief Fokumla Thompson, wollte in Deutschland für sich und ihre Tochter die Freiheit gewinnen, ihre Geschichte, in der Frauen vor allem Opfer waren, endlich umschreiben. Doch die Hoffnung auf Veränderung erfüllt sich nicht komplett, auch in Deutschland erfahren sie Unterdrückung, Angst und Ausgrenzung, leben in einem „Gefühl der Verlorenheit, gefangen zwischen zu Schwarz in Deutschland und zu deutsch in Kamerun“ (90)

Als die erwachsene Issa schwanger wird, drängt Ayudele, nachdem sie vom Tod ihrer Tochter geträumt hat, auf Issas Rückkehr nach Kamerun. Nach Jahren der Abkehr soll Issa die alten Rituale zur Geburt eines Kindes durchführen und den Traditionen ihrer Ahninnen begegnen. Widerwillig tritt Issa die Reise an, taucht in Buea aber tief in ihre Herkunftsgeschichte ein und lernt ihre eigenen Ängste und Bedürfnisse, Nähe und Distanz neu kennen.

Die Kapitel springen abwechselnd aus der Erzählgegenwart der Ich-Erzählerin Issa im Jahr 2006 in die Vergangenheit ihrer Ahninnen, beginnend 1903 mit Enanga, der Mutter von Uroma Marijoh. Das Vorhaben, anhand von fünf Frauenfiguren eine sehr persönliche Familiengeschichte im Kontext der kolonialen und postkolonialen Geschichte Kameruns über 100 Jahre hinweg zu erzählen, ist für einen Debütroman sehr ambitioniert. Meiner Meinung nach glückt die Umsetzung nicht komplett.

Die Ahninnen-Kapitel werden in teilweise großen zeitlichen Sprüngen erzählt, ich hätte mir mehr Raum für ihre erschütternden Geschichten und vor allem für ihre Gefühle und Gedanken gewünscht, dafür auf explizite Deutungen ihrer Erfahrungen verzichtet. Der detailreiche und mit einem teilweise schrägen Humor erzählte Alltag von Issa in der Gegenwart fügte sich für mich oft nicht mit den rückblickenden Kapiteln zusammen.

Als harmonisches Ganzes wirkt der Roman, wenn vom Vertrauen in die Rituale, von der selbstverständlichen Weitergabe des weiblichen Wissens, vor allem der Narben und Verluste, erzählt wird, die bis zu Issa getragen werden. Als Kind liebte Issa die Legende von Mami Wata, die ihr Uroma Marijoh erzählte. Die Geschichte der ambivalenten Wassergöttin taucht in allen Kapiteln der fünf Figuren auf und bestärkt jede Ahnin in ihrem Willen, aus einem Kreislauf der Gewalt zu entkommen. An diesen Stellen begibt sich der Roman auf eine Spurensuche, die die tiefe Verbundenheit vergangener Erfahrungen verdeutlicht.

„Denkst Du etwa, du bist die Erste, die leidet in dieser Welt? Denkst Du, dass du den Schmerz erfunden hast? Es gab schon Trauer und Schmerz, lange bevor du auf die Welt gekommen bist, und es wird noch lange Trauer und Schmerz auf dieser Erde geben, nachdem deine Knochen Staub sind.“ (185)

Trotz einiger Kritikpunkte an dem Roman bin ich gespannt auf weitere Texte der Autorin Mirrianne Mahn, die als junge afrodeutsche Stimme kraftvoll und mitreißend vom Kampf, aber auch vom Zusammenhalt von Frauen erzählt.

„In unseren eigenen Geschichten sind wir keine Opfer. Issa, du hast lesen und schreiben gelernt, aber das Denken kann dir niemand beibringen, das musst zu selbst erlernen. Denn dann kannst du deine Geschichte selbst schreiben. Du musst in die Vergangenheit schauen, um die Gegenwart zu verstehen, damit du deine Zukunft gestalten kannst.“ (260)

[Werbung, selbstgekauftes Exemplar]

Infos zum Buch

Genre Roman
Verlag
Rowohlt
Seitenzahl 304
ISBN 978-3498003906
Erscheinungsdatum 12.03.2024