Lässt ein prickelndes Glas Champagner einen Menschen nicht geheimnisvoll schimmern und funkeln, so dass sich dahinter nur etwas Aufregendes und Begehrenswertes verbergen kann?

In der titelgebenden Erzählung FREMDER CHAMPAGNER hält selbst ein billiger Champagner, den ein unbekannter Mann im Supermarkt kauft, die erzählende Figur Kerstin nicht davon ab, sich das Leben dieses Mannes erfüllter und spannender vorzustellen als ihr eigenes. Wie Kerstin stehen auch die vielen anderen Protagonist:innen des Erzählbandes eigentlich nicht auf der Schattenseite des Lebens: Sie sind verheiratet oder leben in einer Partnerschaft, haben (fast erwachsene) Kinder, sind seit langem berufstätig und damit meist sozial und finanziell abgesichert – und doch empfinden sie ihr Leben nicht als sonnig und hell, offen darüber zu sprechen, es sich oder anderen Menschen einzugestehen, das können sie nicht. Nur kleine Risse im Alltag geben Einblick in geheime Abgründe, versagte Wünsche, instabile Beziehungen, verlorene Nähe und fehlendes Vertrauen.

So sind Martina Berscheids Figuren dem vermeintlichen Glücksversprechen des fremden Champagners auf der Spur. Einige Figuren nippen an einem anderen Leben, genießen den geheimnisvollen Geschmack, ziehen sich Perücken oder schwarze Kleidung über, kosten kurz an bisher undenkbaren Frei- und Dunkelräumen, manchmal verfallen sie dem unbekannten Prickeln auch komplett.

Martina Berscheid beobachtet in ihren fein konstruierten Momentaufnahmen sehr genau zwischenmenschliche, partnerschaftliche und gesellschaftliche Konstellationen. Hinter den ach so normalen Alltagsfassaden entblößt sie versenkte Wahrheiten, verkappte Lügen und unausgesprochene Feindseligkeiten.

Bei der Lektüre der 15 Erzählungen, die inhaltlich und in der Figurenkonstellation eine große Vielfalt bieten, hätte ich mir ein oder zwei ganz andere Geschichten gewünscht. Eine Geschichte mit einer Figur oder in einem Milieu, die nicht ins Schema der übrigen Geschichten passt, das hätte meine Leseerwartungen noch einmal durchgewirbelt und bestätigt, dass es nichts Verlässliches gibt. Mag aber nur mir so gehen.

[Werbung, Rezensionsexemplar]