Was wäre Pepsi ohne ihre Vorstellungskraft?

Als die barfüßige Pepsi mit ihren jüngeren Geschwistern noch beim Großvater in Dalmatien lebt, trägt ihre Fantasie sie zu ihren unbekannten Eltern nach Deutschland. Wenig später, als die Familie im kalten Norden tatsächlich vereint ist, sind es Pepsis schwebende Gedanken, die sie dem tristen Alltag in einem dunklen Fachwerkhaus in einer Kleinstadt im Taunus entfliehen lassen. Während ihre Eltern sie zur Strafe stundenlang auf harten Reiskörnern knien lassen, fliegt sie zurück in den Süden, wird dort von wärmender Sonne und wilder Natur umarmt, oder freundet sich mit den Tapetenmenschen an der Wand an, durchquert mit ihnen Raum und Zeit.

Auch die Buchstaben und Wörter der neuen Sprache umarmen die aufmerksame Pepsi bald, in Büchern schafft sie sich weitere Schutzräume für imaginäre Fluchten. So fordernd Pepsis Aufwachsen auch ist, sie spürt deutlich, dass sie sich in einer „Pluszeit“ bewegt, dass sie langsam, aber stetig in eine eigene Zukunft geht, während ein unsichtbarer Faden die Eltern in die zurückgelassene Vergangenheit zieht und sie in Deutschland nicht ankommen lässt.

„Je länger ihre Freundschaft mit den Buchstaben, den neuen Wörtern und den russischen Büchern andauert, desto genauer sieht Pepsi in sich hinein und merkt sich weiter mit Wonne die neue Sprache, die sie jeden Tag ein bisschen mehr von ihren Eltern trennt.“ (27)

Oh, wie schmerzhaft sticht und schneidet jede gelesene Seite von Pepsis Geschichte, wie tief bohrt und brennt sich das Erzählte ins eigene Herz, durchtrennt helle Überzeugungen, ritzt tiefe Zweifel an Dunkelheit ein. Marica Bodrožić hat mit DAS HERZFLORETT einen bezaubernd schönen und zugleich erschütternd traurigen Bildungsroman geschrieben. Ausgestattet mit einem großen Herzen und einem kämpferisch scharfen Verstand durchschreitet Pepsi zehn widersprüchliche Kindheits- und Jugendjahre, wird zurückgestoßen und zur Seite geschoben, blickt aber mit unerschütterlicher innerer Kraft weiter nach vorne.

Eine Coming-of-Age-Geschichte, die all das Glück und Unglück von Familie, Herkunft und Bildung, von transkultureller Weite und Enge in eine märchenhaft leichte und greifbare Bildsprache übersetzt. Mühelos, fast leichtfüßig aber zutiefst geläutert folgt man der hellsichtigen Pepsi und ihrem funkelnd scharfen Florett. Eine herzerweiternde Lektüre!

[Werbung, Rezensionsexemplar]