Malin C.M. Ronning – Skabelon

Was ist eine Familie? Unabhängig davon, welche Personen wir dazu zählen, ist sie ein identitätsstiftender und im besten Fall intimer Schutzraum, eine soziale Lebensgemeinschaft.

Urds Familie ist leider nichts davon: Urd hat fünf ältere und zwei jüngere Geschwister, sie leben mit ihren Eltern in einem entlegenen und primitiven Haus im Wald. Außerhalb des Waldes gelten sie als Sonderlinge. Der Vater ist meistens fort, arbeitet tagelang, zieht sich in seinen alten Bus neben dem Haus zurück. Die Mutter sitzt rauchend ins Leere starrend auf dem Sofa oder in der Badewanne. Zuwendung und Nähe erfahren die Kinder von ihr nur als Babys, danach ist jedes Familienmitglied auf sich allein gestellt. Getrieben von ständigem Hunger und in völliger Unkenntnis von Mitgefühl und Teilen lebt jeder für sich, kennt keinen Zusammenhalt:

„Wachsen. Wir müssen wachsen und wachsen. Dann können wir uns irgendwann unser Leben selbst aussuchen“ (195),

stellt Urds älterer Bruder Rav emotionslos fest, bevor er, wie bereits die anderen vier älteren Geschwister das Haus verlässt und nicht mehr zurückkehrt.

„Ich denke: Ich habe immer geglaubt, wir wären alle allein. Vielleicht bin ich die Einzige, die allein ist.“ (121),

wird sich Urd mit zunehmendem Alter bewusst und fühlt sich in und außerhalb ihrer Familie nicht wahrgenommen. Menschliches Handeln versteht sie nicht, begreift eher die Welt der Pflanzen und Tiere. Sie sucht nach Naturmustern in den Menschen und in sich selbst: Fühlt sie ihr Hasenherz klopfen, stellt sie sich einen starken Elch vor; um sich zu beruhigen, ahmt sie das Geräusch von hohem Gras im Wind nach.

Atmosphärisch dicht geschildert blicken wir durch Urds aufmerksame Augen auf dieses rohe Familienleben, das sie nicht in Frage stellt, doch die unheilvollen Leerstellen und Zwischentöne nicht deuten kann, die die Lesenden umso deutlicher erahnen und füllen.

Skabelon – so steht es auf Seite eins des Romans – bedeutet im Norwegischen sowohl Schablone als auch abwertend Missgestalt. Malin Rønning entwirft in ihrem Debüt eine Familie, die in keine wohlwollende Familiendefinition und -schablone passt und erzählt dadurch einen fesselnd-bedrohlichen Anti-Familienroman.

Übersetzung: Aus dem Norwegischen von Andreas Donat

[Werbung, eigenes Exemplar]

Infos zum Buch

Originaltitel Skabelon
Genre Roman
Verlag
Karl Rauch Verlag
Seitenzahl 224
ISBN 978-3792002728
Erscheinungsdatum 14.03.2022