Paola Lopez – Die Summe unserer Teile

Sommer 2014. Plötzlich steht er in Lucys WG-Zimmer. Riesig. Schwarzglänzend. Wie eine zurückgedrängte Erinnerung an ihre Münchener Kindheit: Lucys Konzertflügel ist ein raumnehmender Gruß ihrer Mutter Daria, zu der sie seit drei Jahren keinen Kontakt hat. Ihre Beziehung war zu konfliktreich, zu schmerzhaft.

Lucy studiert inzwischen Mathematik in Berlin, hat neue Ziele und eine enge Wahlfamilie mit ihren Freund*innen Phil und Oliver gefunden. Doch der Flügel macht Lucy erneut rast- und haltlos. Sie spürt, dass sie etwas loslassen muss – einen Teil von sich selbst, den sie kaum kennt. Auf der Suche nach Antworten reist sie ins polnische Sopot. In dieser Stadt am Meer war auch einst ihre Großmutter Lyudmiła. Lucy, die ihren Namen trägt, kennt sie nur aus Erzählungen – jetzt will sie ihrer Geschichte näherkommen, die „summende Gemeinsamkeit zwischen ihnen“ (35) begreifen.

„Wie gern sie mehr über ihre Großmutter wissen würde – die unerschrockenen Zwölfjährige, die souveräne Wissenschaftlerin, die Mutter ihrer Mutter.“ (66)

Der Roman erzählt nicht nur aus Lucys Perspektive, sondern springt auch in die Vergangenheit: zu ihrer Mutter Daria ins München der 1970er bis 1990er Jahre und weiter zurück zu ihrer Großmutter Lyudmiła, nach Beirut zwischen 1944 und 1955. Welche Träume und Pläne hatten sie einst und was hat dann die Realität auf schmerzhafte Weise verschoben?

Erst durch den Wechsel von Zeiten, Orten und Perspektiven entsteht „die Summe“ jener unsichtbaren Fäden, die die Leben der drei Frauen miteinander verbinden und sich bis in Lucys Gegenwart eingeschrieben haben. Während Lucys Stimme mir besonders nah und authentisch erschien, blieben mir Darias und Lyudmilas Gefühle und Handlungen trotz ihrer Innenperspektiven etwas fremd.

Wie finden wir unseren Platz im Leben? Wie viel Raum brauchen wir für uns allein? Und wie verwandeln sich einst hart erkämpfte Räume in dunkle Leere für die nächste Generationen?

„Manche Dinge lassen sich nicht durch Reden in alle Einzelteile zerlegen, betrachten und schlussendlich lösen“ (S. 134), heißt es an einer Stelle – und genau darin liegt die Stärke dieses Romans. Paola Lopez gelingt es in ihrem Debütroman, die „unvollständige Grammatik“ einer Familie (199) sensibel zu erfassen und durch die Quersumme vieler Perspektiven auch die geheimen Türen des Schweigens zu öffnen.

„Ihr ganzes Leben hat sie in einem Raum verbracht, den zu kennen sie geglaubt hat. Und jetzt entdeckt sie eine geheime Tür, die die ganze Zeit über da gewesen ist.“ (195)

Ein vielschichtiges Buch – gerne gelesen.

[Werbung, Rezensionsexemplar]

Infos zum Buch

Genre Roman
Verlag
Tropen
Seitenzahl 256
ISBN 978-3608502725
Erscheinungsdatum 15.03.2025