Mit dem tödlichen Fahrradunfall ihrer 17-jährigen Tochter Sonja, endet auch das Leben der Ich-Erzählerin Linda. Nur noch ein minimales lebenserhaltendes Glimmen spürt sie in sich, hat keine Kraft mehr, ihre Arbeit als Kunstkuratorin oder ihre Ehe mit Richard fortzusetzen. Andere Menschen, deren Trost und Mitleid, das alles erträgt Linda nicht.

Der Verlust ihres Mutterseins, das Entreißen ihres einzigen Kindes lässt Linda haltlos, ja körperlos zurück. Neben sich stehend legt sie ihr bisheriges Frausein ab. Sie verlässt Leipzig, flieht in ein kleines sächsisches Dorf, auf einen grauen Hof, wo sie sich um den Hofhund Kaja und einige Hühner kümmert. Nur dort, im Niemandsland zwischen Leben und Tod, ist es ihr möglich, ihren ständig wachen Schmerz zu besänftigen, den Erinnerungsfallen ihres früheren Lebens kurzzeitig, unterstützt durch starke Tabletten, zu entkommen.

Während Lindas Blick nur in die Vergangenheit gehen kann, schaut der stets verständnisvolle Richard zaghaft nach vorne und sein Blick fällt auf eine andere Frau. Haben Linda und Richard ihren gemeinsamen Weg nun für immer verloren?

Nur zögerlich wagt sich Linda aus ihrem inneren Winter hervor. Kehrt nach Leipzig zurück, beginnt ein drittes Leben.

„Drei Schritte vor und zwei zurück, so ist es schließlich. An schlechten Tagen sogar umgekehrt. Ich erwarte wenig von mir und werde nur noch selten enttäuscht. Früher war Glück das besondere, heute ist es die Abwesenheit von Unglück.“ (231)

Ist das Leben nur mit Glück lebenswert oder sollten wir auch großes Leid erfahren, um Glück empfinden zu können? Dieser philosophischen Frage nähert sich Daniela Krien mit erschütternder Lebensnähe. Krien hat die Gabe, versehrte Menschen und randständige Räume intensiv und einfühlsam zu beschreiben. Wie schon in ihren früheren Texten verortet die in Leipzig lebende Autorin ihre Figuren in Ostdeutschland. In MEIN DRITTES LEBEN taucht Krien tief in die Trauergefühle ihrer Protagonistin ein und verwebt deren Innenleben mit einer ostdeutschen Mentalitätsgeschichte.

„hier, in meinem dritten Leben, sind es nicht die Menschen. Es sind die Tiere und die Pflanzen und der Wind und die Bilder der Toten an den Wänden.“ (29)

Schöne Kleinigkeit: Das Wiederauftauchen der Figur Brida aus DIE LIEBE IM ERNSTFALL.

[Werbung, Rezensionsexemplar]