Alex McCarthy – Rosalind Bone
- Stephanie Schaefers
- September 16, 2024
- #goya, #literaturauswales, #roman, #weiblicherkanon
„Es ist tröstlich, alles Unrecht eines Dorfes unter den Teppich einer einzigen Familie zu kehren“ (114)
„Cwmcysgod“, nicht nur die Aussprache dieses Ortsnamens ist eine Herausforderung, sondern auch das Leben in dem kleinen walisischen Dorf, das übersetzt „Schattental“ bedeutet.
Der Bergbau bestimmte hier einst das Leben, das hart, gefährlich und nicht immer gerecht war. Hier wachsen in den 1950er Jahren die Schwestern Mary und Rosalind Bone auf. Schon als kleines Mädchen fällt Rosalind durch ihr Aussehen auf und wird als ‚wahre‘ Schönheit bezeichnet, was zur Folge hat, dass ihr Mädchen und Frauen mit Missgunst und Zurückhaltung begegnen, während Jungen und Männer sie begehren und übergriffig behandeln. Schließlich wendet sich auch Rosalinds ältere Schwester Mary eifersüchtig von ihr ab. Sie bemerkt nicht, wie sehr Rosalind darunter leidet, auf ihre Schönheit reduziert zu werden.
„Sie wünschte, sie wäre unsichtbar und könnte ungesehen leben.“ (130)
Der einzige, der Rosalind wirklich sieht, ist ihr Vater, doch er verunglückt in der Mine.
Kurz darauf verschwindet auch Rosalind.
Jahrzehnte später erinnert nur noch ein vergilbtes Zeitungsfoto an Rosalind Bone, das ihre Nichte Catrin in der Küchenschublade ihrer Mutter Mary findet. Die 16-jährige Catrin möchte wissen, was die Schwestern einst verband und was sie trennte. Wie gerne würde auch Catrin Cwmcysgod verlassen, aber sie will ihre einsame Mutter nicht zurücklassen und eigentlich auch nicht Daniel Clements, mit dem sie einst eng befreundet war.
Heute steht Daniel unter dem Einfluss seines bestimmenden Bruders Shane, der sich als örtlicher Dealer durchschlägt und in jeder Hinsicht mit dem Feuer spielt. Ein von den Brüdern gelegter Waldbrand kostet fast ein Menschenleben und wühlt all die verbrannte Erde der letzten Jahrzehnte in Cwmcysgod wieder auf.
Cwmcysgod (dt. gesprochen: Kumkasgod) – ist ein zweites Andorra, ein Ort, der überall auf der Welt sein könnte, der in seinem überschaubaren Miteinander ein Brennglas für gesellschaftliche Prozesse ist: Angeblich kennt hier jeder jeden, weiß alles über den Nachbarn. Aber stimmt das wirklich? Und was passiert mit Menschen, die von einer Gemeinschaft nur auf ein einziges Attribut reduziert werden? Die als „schön“ oder „hässlich“ gelten, vielleicht auch als „hilfsbereit“ oder „kriminell“?
„Konnte Cwmcysgod jeden Menschen auf ein einziges Wort reduzieren?“ (117)
Vor dem Hintergrund dieses kleinen Ortes erzählt die Autorin Alex McCarthy eine realitätsnahe Geschichte über den Strukturwandel ihrer walisischen Heimat, vor allem aber eine metaphorische Geschichte über Licht und Schatten, über Macht und Ohnmacht gesellschaftlicher Strukturen, die Menschen stigmatisieren und ins Dunkel stellen, während andere Menschen ein Schattendasein führen, das niemand ausleuchten möchte.
„Das Unheil kommt von Menschen, die sich jeden Tag als Jedermann kleiden“ (41)
Ein vielschichtiger Roman, der durch die Erzählperspektive mit wechselnden Figuren von Kapitel zu Kapitel mehr Feuer fängt und auf ein zerstörerisches Inferno zusteuert.
Ein kluges Plädoyer gegen falsches Wegsehen, für genaues Hinsehen und Vertrauen in die eigene Wahrnehmung.
Übersetzung: Aus dem Englischen von Silke Jellinghaus
[Werbung, Rezensionsexemplar]
Infos zum Buch
Originaltitel The Unbroken Beauty of Rosalind Bone
Genre Roman
Verlag Goya
Seitenzahl 192
ISBN 978-3833746-406
Erscheinungsdatum 17.04.2024
Vielen Dank an den Goya Verlag und die Agentur Kirchner Kommunikation für das Rezensionsexemplar!