Marion Poschmann – Die Winterschwimmerin

Thekla entdeckt das Schwimmen in eisigen Gewässern. Sie ist begeistert und fasziniert, denn dem winterlichen Schwimmen im städtischen See scheint eine mehrfache Grenzüberschreitung eingeschrieben: Was können wir unserem Körper und unserer sozialen Umwelt zumuten? Was empfinden wir als ‚normal‘, ‚extrem‘ oder als Konventionsbruch? Während sich der Körper schnell „dem Kalten rückhaltlos anvertrauen“ (61) kann, sich naturhaft mit dem Element Wasser verbindet, beginnt ein innerlicher Aufruhr, ein Brennen und Drängen nach dunkler Erkenntnis, gedankliche Tabus brechen:

„als ginge es in diesem Winter darum,

ein Bild für ein bildloses Innenleben zu finden,

sah ich mich wieder, sah ich mich neu“ (13)

Theklas Stimme verwandelt sich, wird zum lyrischen Ich, taucht ins Tiefenreich der überlieferten und eigenen Erinnerung, entdeckt sich selbst und die Kräfte, die in ihr schlummern:

„Ich war überall, ich war nirgends,

ich verlor mich, verschwand, tauchte auf.“ (14)

Vielleicht sind es nur die gelblich auf der Wasseroberfläche treibenden Lanzettblätter, deren Farbspiel bei Thekla die Assoziation an ein geschecktes Tigerfell weckt und den mythischen Gedankentiger freisetzt. Dieser Wintertiger hat sich „im Schatten des Ichs“ (21) getarnt, aber erwacht nun wie ein Bruder von Rilkes Panther. Fühlen und Denken verwandeln sich, das „Zerwühlte, Wilde, Aufgebäumte“ (31) tritt hervor, Dichtung und Wahrheit verschwimmen, der Weg führt ins Offene und Weite.

Marion Poschmanns DIE WINTERSCHWIMMERIN ist ein sinnlicher, hochpoetischer Text. Das liegt nicht nur an der äußeren Form, das Erzählte ist in klangvollen Hexametern verfasst, sondern auch an der metaphorischen Stärke des Tigers, der durch die spielerisch leichten Verse schleicht und sie in mystische und intertextuelle Dimensionen zerlegt.

Diese flirrend-schöne Verslegende ist eine literarische Einladung aus starren Strukturen auszubrechen, gedanklich und sinnlich einzutauchen, sich zu entflammen, zu entgrenzen – ein poetischer Rausch, in dem die Grenzen zwischen fluider Fantasie und philosophischer Erkenntnis wunderbar verschwimmen.

[Unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar]

Infos zum Buch

Genre Lyrik
Verlag
Suhrkamp
Seitenzahl 80
ISBN 978-3518432358
Erscheinungsdatum 23.02.2025

Danke an den Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar!