Bettina Baltschev – Hölle und Paradies

Im April 1933 nimmt Fritz Landshoff den Nachtzug nach Amsterdam. Bis dahin war der 31-Jährige Geschäftsführer des Gustav Kiepenheuer Verlages. Doch der Verlag gerät ins Visier der Nationalsozialisten, und bald ist klar: Landshoff kann seine Autor:innen und ihre Werke, die offen oder unterschwellig gegen das Regime schreiben, nicht mehr in Berlin veröffentlichen, nein, nirgendwo in Deutschland. Fritz Landshoff, von dem erfolgreichen Verleger Emanuel Querido nach Amsterdam eingeladen, weiß, dass er nicht nach Berlin zurückkehren kann. Für ihn ist diese Reise eine Flucht, hinaus aus der Hölle des Deutschen Reiches, in dem Bücher brennen, jüdische oder anders denkende Literat:innen verfolgt werden und nicht publizieren dürfen. Das Zusammentreffen mit Emanuel Querido ist die Geburtsstunde des Querido Verlages, der ab 1933 Erstausgaben deutschsprachiger Exiltexte von Autor:innen veröffentlicht. So ist diese Reise auch ein Neuanfang, ein paradiesisches Literaturintermezzo ungeahnter Möglichkeiten und mutiger Hoffnungszeichen, bevor die Nationalsozialisten auch Amsterdam und die Niederlande besetzen und ein neues Inferno ausbricht.

Ausgehend von Fritz Landshoffs Ankunft in Amsterdam folgt die Autorin Bettina Baltschev in HÖLLE UND PARADIES den historischen und literarischen Spuren verschiedener Querido-Akteure. Auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus finden ambitionierte verlegende und schreibende Menschen wieder zusammen. Obwohl die Emigration für alle die Hölle ist, entsteht in Amsterdam für einen intensiven Zeitraum ein Ort, der Autor:innen wie Hermann Kesten, Klaus Mann, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Irmgard Keun und Joseph Roth real und literarisch verbindet. Viele der wichtigsten Exiltexte dieser Jahre erscheinen im Querido Verlag.

„Viele engte das Exil ein, aber den Besseren gab es mehr Weite, Elastizität, es gab ihnen Blick für das Große, Wesentliche und lehrte sie, nicht am Unwesentlichen zu haften.“ (Lion Feuchtwanger im Roman „Exil“, zitiert nach Bettina Baltschev)

In ihrem Buch AM RANDE DER GLÜCKSELIGKEIT (2021) über den Kulturraum Strand begeisterte mich Bettina Baltschev durch ihre abwechslungsreiche und insbesondere erzählerische Herangehensweise im Kontext eines Sachbuches. Auch in HÖLLE UND PARADIES fühlt sich die Autorin behutsam in die Gedanken und Handlungen der Personen ein und lässt Lesende in die beschriebene Welt („Nehmen wir also an, Fritz Landshoff entscheidet sich zu laufen“, 28) und in die Atmosphäre der verschiedenen Schauplätze in und um Amsterdam eintauchen. Geschickt verknüpft sie ihre Gegenwartsperspektive (denn stets ist sie selbst an den Orten) mit den vergangenen Zeiten und den historischen Veränderungen. Die Autorin verbindet sehr Intimes mit klug recherchierten Hintergrundinformationen, bindet aussagekräftige Fotografien in den Text ein, zitiert wichtige Exiltexte verschiedener Autor:innen, verknüpft mühelos alle Biografien miteinander und bewegt sich schließlich mit allen Exilant:innen auf die unvermeidliche dunkle Wende zu.

Vielen Dank an den Berenberg Verlag und die Agentur Kirchner Kommunikation für das Zusenden dieses Rezensionsexemplars. Ein großartiges Buch, dem ich nun in der Taschenbuchausgabe wieder neue Aufmerksamkeit und Leser:innen wünsche!

Die Erstausgabe des Textes erschien bereits 2016 bei Berenberg, diese Ausgabe ist nun die Taschenbuchausgabe.

[Werbung, Rezensionsexemplar]

Infos zum Buch

Genre Sachbuch
Verlag
Berenberg
Seitenzahl 200
ISBN 978-3949203848
Erscheinungsdatum 07.02.2024