Arno Frank – Seemann vom Siebener

Ein Tag im Freibad: Frühmorgens auf der Liegewiese ein schattiges Plätzchen unter der großen Linde suchen, lieber etwas abseits von Kinderbecken und Volleyballfeld, wo es später viel zu trubelig wird. Im noch leeren Schwimmerbecken Bahnen ziehen und sich anschließend von der Sonne trocknen lassen. Eincremen nicht vergessen, die lästigen Wespen von der mitgebrachten Wassermelone verscheuchen. Den Blick auf den Sprungturm genießen, die Mutigen mit „Ahhh“ oder „Uiihh“ bei ihren kunstvollen oder kläglichen Sprüngen in die Tiefe begleiten. Später den obligatorischen Flutschfinger schlecken oder doch schon eine Freibad-Pommes bestellen? Nee klar, natürlich beides.

„Und jetzt waren sie, drei Autostunden von Mannheim, in dieser Provinz gelandet. In diesem Tal hier, das aussieht wie etwas, von dem Rehe träumen.“ (82)

Ein Tag im Freibad im fiktiven pfälzischen Ottersweiler. An diesen besonderen Ort führt uns Arno Frank in seinem zweiten Roman SEEMANN VOM SIEBENER. Eine kleine „umgekehrte Insel“, ein ominöser Freiraum, bestückt mit bekannten Requisiten (siehe oben), aber besetzt mit einem unbekannten Figurenensemble, das nur an diesem Ort so simultan zusammenkommt, uns aus der jeweiligen Perspektive auf das Geschehen im Freibad blicken lässt, uns aber auch die jeweils individuellen Gefühle und Rückblenden offenbart und verdeutlicht: Alle kreisen um eine große und viele kleine Katastrophen:

Bademeister Kiontke, Kassendame Renate, die ehemaligen Jugendfreunde Josefine und Lennart, die vergessliche Isobel, Melanie mit ihrer Seepferdchengruppe und die 15-jährige Ich-Erzählerin, die genau heute einen gefährlichen Sprung wagen will: den SEEMANN VOM SIEBENER.

„Das Freibad, denkt Josefine, ist wirklich ein seltsamer Ort. Alles, was draußen gilt, scheint hier drinnen seine Dringlichkeit zu verlieren. Das Gefühl kennt sie sonst nur aus Museen und Kirchen, oder von der Kirmes. Hier kommt noch eine schwere Süße dazu, das muss die Sonne sein.“ (70)

Strauchelnd und taumelnd, verletzt und enttäuscht, gestürzt und wieder aufgestanden – was verbindet, was trennt diese unterschiedlichen Freibadbesucher:innen? Heute, während im Friedwald eine Beerdigung stattfindet, sind sie alle im Freibad. Zufällig, gezwungenermaßen oder von langer Hand geplant. Als Bekannte oder Unbekannte, als Verlorene oder Geborgene – sie alle tauchen ein in dieses hoffnungsverheißende und weltuntergangsleuchtende Blau!

„Niemand hat irgendetwas zu tun. Das ist seltsam, weil sonst immer alle irgendwas zu tun haben, irgendwen treffen wollen. Hier nicht. Es ist, als wäre das ganze übliche Leben ausgekuppelt und liefe verpflichtungsfrei im Leerlauf weiter, anderswo.“ (90)

Was für ein „wolkenloser Spätsommersehnsuchtstag“ im Freibad Ottersweiler!

Was für ein unglaublich atmosphärischer, sensibler und humorvoller Roman!

Wer ihn noch nicht kennt, sollte schnell los: freibadwärts!

[Werbung, eigenes Exemplar]

Infos zum Buch

Genre Roman
Verlag
Tropen
Seitenzahl 240
ISBN 978-3608501803
Erscheinungsdatum 18.03.2023