Nelio Biedermann – Lázár
- Stephanie Schaefers
- November 29, 2025
- #familienroman, #herkunftsgeschichte, #mehrgenerationenroman, #neliobiedermann, #rowohlt
Ein Familienoberhaupt, das sich in ein betrunkenes Gespenst verwandelt.
Ein Onkel, der sich hinter blauen Wänden verschließt.
Ein strohblondes Glaskind, das vom Untergang träumt.
Mit diesen Nachkommen taumelt die ungarische Adelsfamilie der Lázárs ins 20. Jahrhundert. Es ist eine Zeit des Übergangs, in der der Glanz früherer Jahrhunderte nur noch als Schatten über den Gemäuern des Familienbesitzes liegt und die Familie unbeirrt an einer Welt von gestern festhält.
Wie gelähmt scheinen die Familienmitglieder – sie hungern und dürsten nach Liebe, doch meist gelingt es ihnen nur, nur in der Umarmung des eigenen Schmerzes Trost zu finden.
„das Glück aber meidet die Sprache, entzieht sich den Wörtern, versteckt sich in der Vergänglichkeit und zerfällt, wenn man es zu erklären versucht.“ (108)
Glück ist ein zerbrechliches Gut in der Familie Lázár, kaum ist es da, zerfällt es schon wieder. Was sie umso stärker festhalten können, ist das, was zerstört: Schuld, Verlust, Geheimnisse. Das geheimnisvolle Waldschloss, lange Zeit Sitz der Lázars, nimmt begierig alle Lügen und dunklen Schatten auf und wird zum stillen Zeugen eines langen Verfalls.
„Er hatte auch neben sich geschlafen, in seine eigenen Arme geschlungen, denn wer sonst hätte ihn trösten sollen, wer sonst verstand seinen Schmerz?“ (75)
Währenddessen rauscht das 20. Jahrhundert vorbei – mit Kriegen, politischen Umbrüchen, Enteignung und moralischem Zusammenbruch. Der einstige Adel verliert nicht nur Besitz und Ansehen, sondern auch Orientierung. Zwar lehnen die Lázárs die neuen Regime innerlich ab, doch ihre Anpassung ist Ausdruck einer tiefen Lähmung: Widerstand scheint ihnen ebenso unmöglich wie Erneuerung.
„was er wirklich kannte, war die Monarchie. Er kannte ihre Grenzen und Sprachen, ihre Völker und Flüsse, ihre Berge und Schlachten. All diese Dinge, die sein Land ausmachten, machten auch ihn aus, waren ein Teil seiner Familie und seiner Geschichte. ein Teil von ihm, ohne den er gar nicht denkbar gewesen wäre – Europa dagegen war nur ein Wort.“ (84)
In LÁZÁR entwirft Nelio Biedermann das eindringliche, vielstimmige Porträt einer Familie, die an der Vergangenheit festhält und darüber ihre Zukunft verliert.
Der 22-jährige Autor hat mit seinem Roman ein bildstarkes Generationenporträt geschaffen, durchzogen von leiser Tragik und literarischen Anspielungen. Zwischen Verfall und Erinnerung, zwischen Liebe und Selbstzerstörung entfaltet sich das Panorama eines Jahrhunderts, in dem nicht nur eine Familie, sondern ganze Weltbilder untergehen. Der Roman wirkt jedoch zu keinem Zeitpunkt historisch oder überladen, sondern öffnet deutliche Bezüge zu unserer Gegenwart.
Völlig zu Recht wurde LÁZÁR mit dem Preis der Unabhängigen 2025 ausgezeichnet. Sehr gerne gelesen!
[Werbung, eigenes Exemplar]
Infos zum Buch
Genre Roman
Verlag Rowohlt
Seitenzahl 336
ISBN 978-3737102261
Erscheinungsdatum 01.09.2025
